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Trend: Essig zum Aperitif
"Und für Sie? Ein Glas Champagner zum Aperitif?" Das geht origineller. Denn die neue Losung eingeweihter Gourmets lautet: Alles Essig - und zwar vom Allerfeinsten.

Das Verkosten edler Essige hat sich in den letzten Jahren zum Trend entwickelt. Als Aperitif regt Essig den Appetit an, sensibilisiert die Geschmacksnerven und neutralisiert den Gaumen für die bevorstehende Speise. Natürlich hat die alkoholfreie Alternative zu Sekt, Champagner, Sherry, Vermouth oder Pastis ihren Preis. Zwischen 10 und 15 Euro zahlt der Connaisseur für einen viertel Liter.

Wer jemals einem Winzer bei der 4000 Jahre alten und äußerst diffizilen Essigherstellung über die Schulter geschaut hat, weiß warum. Die Reifung der Grundweine der traditionellen Rebsorten in alten Eichenfässern nach dem Sherryprinzip ist eine von vielen Methoden. In der bodenfeuchten, warmen Essigstube setzen Essigsäurebakterien Alkohol in Essig um. Die richtige Gärtemperatur und die exakte Menge an Sauerstoff, Alkohol und Säure sind für die Aktivität der Bakterien lebensnotwendig. Der normale Essig reift so sechs Monate, bis zu zwei Jahren die edlen Essenzen aus Trockenbeerenauslesen und Eisweinen, welche sich für den Aperitifessig besonders eignen. Ist der Gärvorgang beendet, beginnt die Pflege des Jungessigs. So bevorzugt ein bukettreicher, kräftiger Eisweinessig alte Pièces (kleine Burgunderfässer) um ausreifen zu können. Champagner oder Johannisbeeressige brauchen unbedingt Edelstahltanks zum Nachreifen. In Holz würden sie ihr Fruchtaroma zu schnell verlieren. Spätburgunder und Tokayer brauchen beides - Holz, um ihnen Körper zu verleihen und Stahl, um ihr feines Parfüm zu sichern.

Aber auch das Verkosten der exklusiven Tropfen will gekonnt sein: In ein langstieliges Likörglas - oder das speziell von Riedel entwickelte Essigglas - füllt man nur die Menge eines Fingerhutes ein und läßt den Essig tröpfchenweise - wie bei einem guten Single Malt Whisky- auf die Zunge gleiten und langsam im Mund zergehen. Während sich das gehaltvolle Aroma im Mund ausbreitet, produziert das Verdauungssystem die notwendigen Enzyme für das folgende Menü. Essig zum Aperitif ist ebenso gesund wie extravagant. Und nach ein paar Tropfen Gewöhnung ein ganz und gar sinnliches Erlebnis. Von der aphrodisierenden Wirkung des noblen Elixiers mal ganz zu schweigen.